„Friendly Fire“ – Wenn sich die Abwehr des Körpers gegen das eigene Hirn richtet
Das Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom (OMS) ist auch unter der Bezeichnung „Dancing-Eye-Syndrom“ oder "Kinsbourne-Syndrom“ bekannt.
OMS ist eine sehr seltene Erkrankung, die meist bei Kleinkindern im Alter von 1 bis 3 Jahren diagnostiziert wird. Typischerweise fallen zunächst chaotische Augenbewegungen, plötzliche, ruckartige Zuckungen an Armen und Beinen sowie Schwierigkeiten beim Stehen, Sitzen und Gehen auf. Die Kinder sind meist über Wochen oder gar Monate hinweg extrem irritierbar, so dass sie Tag und Nacht beruhigt werden müssen. Erwachsene, die an ähnlichen Syndromen litten, vergleichen ihre Erfahrungen mit einem furchtbaren Drogentrip.
Nur in wenigen Fällen bleibt es bei den heftigen Symptomen der ersten Krankheitsphase. Nach einer Studie der Universität Gießen bleiben bei einem Drittel der erkrankten Kinder schwere und bei einem weiteren Drittel leichte bis mittelschwere Behinderungen. Die meisten OMS Kinder sind auf besondere Schulangebote angewiesen und erhalten Sprach- sowie Verhaltenstherapien.
Was diese Funktionsstörungen auslöst, ist noch nicht vollständig geklärt. Die bisherigen Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Immunsystem des Patienten Tumorzellen entdeckt und zur Gefahrenabwehr Antikörper produziert. Diese Antikörper bekämpfen jedoch nicht nur das Tumorgewebe, sondern auch gesunde Gehirnzellen, insbesondere im Cerebellum (Kleinhirn). Der amerikanische Neurologe Michael Pranzatelli beschrieb OMS deshalb als „friendly fire“ – einen fehlgeleiteten Beschuss des Hirns durch die körpereigene Abwehr.
Zum ersten Mal als eine Autoimmunerkrankung erkannt und beschrieben wurde OMS in den 1960er Jahren von dem amerikanischen Neurologen Marcel Kinsbourne. (Nach ihm heißt es deshalb auch "Kinsbourne-Syndrom".) Lange Zeit richtete sich das Augenmerk der Ärzte nur auf die motorischen Ausfälle, die mit der Krankheit einhergehen: die Augenzuckungen (Opsoklonus), die Muskelzuckungen (Myoklonus) und die Gleichgewichtsstörungen (Ataxie). Erst in den letzten Jahren rückten die kognitiven und emotionalen konsequenzen der Krankheit in den Vordergrund, die für die Familien oft am schwersten zu ertragen sind.